Bild 09.2024

Ich erinnere mich an Dinge, die da waren als du noch da warst.
Ich erinnere mich an deinen Mercedes, an Samba-Turnschuhe, an deine rostfarbene Steppjacke.
Ich erinnere mich so gerne.
Ich habe jetzt Dinge, die habe ich nur, weil du nicht mehr da bist.
Festhalten und loslassen.
Ich habe jetzt ein schwarzes Kleid. Ich habe jetzt dieses kleine weiße Haus, für ein Teelicht, da leuchtet es von innen aus den Fenstern. Ich habe einen Stapel Trauerkarten und einen Stapel Bücher übers Trauern.
Ich denke an das Schwarze Kleid. Ich wollte etwas für deinen letzten Tag mit uns haben. Für die letzte Ehre. Für deine Trauerfeier. Etwas Schwarzes.
Eigentlich fand ich dieses Schwarztragen immer doof. Aber plötzlich macht es Sinn für mich. Plötzlich ist es ein Bedürfnis. Ein Wunsch. Ein Zeichen. Eines für Dich und für die Familie und für alle da Draußen.
Ein Symbol, dass es dunkel ist bei mir gerade.
Dabei symbolisiert Schwarz doch schon lange nichts mehr da Draußen . Schwarz trägt man ständig, übermäßig, inflationär. Nur die Einen mehr die Anderen weniger.
Ich erinnere mich an das neue schwarze Kleid. Ich wollte mir gerne noch was kaufen und wollte es auch nicht. Weil alles was man aktiv tut für den Tag, machte es ja nur noch realer, noch wirklicher und brutaler.

Ich erinnere mich an den kleinen Laden. Ich erinnere mich an den Verkaufsständer gleich vorne am Anfang. Ich sehe mein Kleid. Schwarz und weich und klar und unaufgeregt. Ich erinnere mich an die Anprobe und es ist mir als ob ich es schon oft getragen hätte. Dicker, gemusterter Stoff, warm und beschützend und gütig, hüllt mich ein. Es ist ja schließlich Dezember. Es ist kalt und nass. Sehr nass ist es. Es regnet viel. Alle stöhnen über den Regen. Nur mir gefällt das eigentlich. Wie schrecklich wäre jetzt Sonnenschein.

Ich erinnere mich an die freundliche Kassiererin. Sie freut sich über meinen Kauf. Ich auch. Aber ich würde nicht Freude sagen, eher Zufriedenheit, Erfüllung, Wohlbehagen. Ich erinnere mich, wie die Kassiererin sagt: „Viel Spaß damit“.  Spaß, weil die Kleider bestimmt sind für Weihnachtsfeiern, Adventskonzerte, Christmessen und Silvestergalas. Wer denkt denn an Trauerfeiern?

Das ist für viele sowieso noch das schlimmste: Ein Trauerfall – wie schrecklich – vor Weihnachten – noch schrecklicher! Wegen dem schönen Fest. Das geht ja jetzt total in die Hose.

In Hosen bin ich in dieser Zeit sehr wenig unterwegs. Eher in dunklen Röcken. Und nun habe ich ja auch noch ein schwarzes Kleid.

Leben, Schreiben, Atmen< ist eine Einladung zum Schreiben.

In Ihrem Buch schreibt Doris Dörrie: Wir sind alle Geschichtenerzähler. Vielleicht macht uns das zu Menschen? Wir können nicht aufhören zu erzählen. Geschichten von uns und unserer Welt.

„Schreibend erinnere ich mich an mich selbst.“

Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken. Die Inspiration nicht zu unterbrechen. Los schreiben:

  • 10 Minuten ohne Pause mit der Hand.
  • Nicht nachdenken! Sich treiben lassen.
  • Ohne Regeln. Schreib Blödsinn. Gewohnte Muster verlassen.

„So zu schreiben bedeutet, sich jeden Tag wieder aus dem kleinen, ordentlichen Garten mit gemähtem Rasen herauszuwagen in den Dschungel. Dorthin, wo wilde Pflanzen wachsen. Dorthin, wo Geschichten nicht mehr hübsch und ordentlich sind, sondern schillernd, giftig, schmerzhaft und wüst. Interessant ist nie die Beschreibung eines schönen Feiertages, sondern die eines schlimmen.“

Doris Dörrie, Leben, Schreiben, Atmen

In der Trauer zu schreiben Kann helfen. Es bedeutet zu verarbeiten, zu begreifen, zu finden und sich wiederzufinden.

KMS